Russland – die Mietwohnungshatermeister

Während ich mich bei deutschen Fernsehsendungen vehement gegen RTL und anderes Trashfernsehen wehre, lasse ich mich für meinen eigenen Geschmack zu oft dazu breitschlagen, genau dieses sonst so gemiedene Trashfernsehen auf Russisch mitzuverfolgen.

Die Gründe hierfür sind vielfältig. Erstens braucht jeder Mensch gelegentlich eine kleine Portion Trash, als Counterbalance gegen den Ernst des Lebens. Niemand bei klarem Verstand will immer nur ernst, feierlich und wohldurchdacht durchs Leben gehen, gelegentlich gehört ein wenig Eskapismus einfach dazu. Und der beste Eskapismus ist für jemanden, der sich wie ich (zwar ohne Geldgegenwert aber) quasi semiberuflich mit Fantasy beschäftigt, nun mal anderen Leuten dabei zuzusehen, wie sie sich vor der halben Welt bis in alle Ewigkeiten in russischen Realityshows zum Affen machen.

Besonders gut für diese Art Eskapismus geeignet ist eine kleine russische Datingshow, die nach einem simplen System funktioniert: Drei russische Promis (eine Schauspielerin, eine Star-Astrologin und eine Star-Heiratsvermittlerin) verkuppeln die Kandidatin oder den Kandidaten mit einem von drei erschienenen Kandidaten vom jeweils anderen Geschlecht.
Belustigend ist dabei weniger das Schicksal von bisweilen wirklich verzweifelten Herzen – wann immer wirklich traurige Geschichten in der Sendung zur Sprache kommen, ist für mich der Eskapismus vorbei.

Nein.

Überhöhte Ansprüche gewisser Lebewesen weiblichen Geschlechts

In letzter Zeit häufen sich Datingkandidatinnen, die schon bei ihren EInleitungsvideos mit Bikinifotos werben und ihre Ansprüche ungefähr so beschreiben: „Ein auf eigenen Füßen stehender Mann, zwischen 25 und 75 Jahre alt, eigenes Auto, eigene Wohnung am Besten im In- und Ausland und großzügig soll er sein“.

Wenn dann dieses „großzügig“ definiert werden soll, dann bedeutet es meist, dass der künftige Geldgeber (denn anders kann ich das nicht nennen) die Frau mit Geldgeschenken im fünfstelligen Bereich plus Schmuck ähnlicher Größenordnung sowie Autos und Immobilien beglücken soll – oder er ist ein erbarmungsloser Halsabschneider und Leuteschinder, für den Frau sich nicht mal gefakte Fingernägel ranbasteln lassen sollte.

Wenn ein junger Mann es gar wagt, zu sagen, dass er seine Wohnung mietet, ist er bei den Vertreterinnen der jungen Geldgeilokratie bereits unten durch…

Russland und die Vorurteile gegen Mietwohnungen

Während es in Deutschland eher die Ausnahme als die Regel darstellt, in Eigentumswohnungen, Reihenhäusern oder sonstwie eigenen Domizilen zu leben, sieht das Ganze in den ehemaligen Ostblockstaaten genau umgekehrt aus. Wer mietet, wird fast genauso abschätzig angeschaut, wie ein Obdachloser.

Das hat auch historische Hintergründe: Ein Ziel der Wohnraumkampagne im Ostblock war es, jede Familie mit einem Dach über dem Kopf zu versorgen. Dass man dabei Menschen mit großen Wohnungen zwangsenteignete, Wohnungen auf das Absurdeste zerstückelte und teilweise Wildfremde in Zwangs-WGs zusammenpferchte, war die dunkle Seite der Medaille. Wer außerdem eine bessere Wohnung wollte oder aufgrund von Familienzuwachs mehr als 10 Quadratmeter Zwangs-WG für 4+ Leute benötigte, durfte sich auf endloses Amtsschimmelgewieher einstellen…
Als nun der Ostblock vor mittlerweile über zwanzig Jahren zusammenbrach, konnten die ehemals staatlichen Wohnungen kostenlos (bis 2012, dann wurde es gebührenpflichtig) dem Eigentümer übertragen, der bis dato brav Miete an den Staat gezahlt hatte. Im Prinzip entstanden so Staaten, in denen ein Großteil der Einwohner eine Immobilie besitzt. Und wer keine besitzt, geht über Leichen, um an eine zu geraten.

Interessante Anekdote zur Illustration: Deutsche Gerichtsshows handeln meist um Mord, Beziehungsdramas,Liebe etc. Fast alle Fälle in russischen Gerichtsshows haben dagegen irgendeine Immobilienmauchelei (teilweise auch -meuchelei) als Hintergrundstory. Ein faszinierender Indikator dafür, was die Fernsehzuschauer am Vormittag am Ehesten als eigene Lebenswelt empfinden. Denn wer schaut Vormittagsshows in Russland? Meist Rentner – ergo alle ab 55.

Entsprechend fragt man sich natürlich bei Ostblöcklern ohne eigene Immobilie, was da passiert ist. Wurde das Domizil verspielt? Verpfändet? Wurde man Opfer einer Verbrecherbande?
Und natürlich fragen sich die Menschen dort bei jemandem ohne Wohnung: Was hat dieser Mensch falsch gemacht?

Im heutigen Russland aber ist Wohnraum nicht nur knapp – sondern auch sündhaft teuer. Zahlreiche Plattenbauten und Containersiedlungen – als Provisorium erbaut und meist nur auf wenige Jahrzehnte Nutzungsdauer ausgelegt – sind schlicht und ergreifend unbewohnbar geworden. Menschen, die dort wohnen, werden zwangsausgesiedelt, erhalten jedoch in der Regel nur lächerliche Kompensationen vom Staat, mit denen man sich mit Müh, Not und sehr viel Vitamin B in eine WG einkaufen kann.
Mieten? Leider unter der Würde vieler Familien, die sich nichts Eigenes leisten können.
Dazu kommt allerdings, dass nur wenige Mietwohnungen zur Verfügung stehen – meist handelt es sich um Zweitwohnungen, die man z.B. in einer anderen Stadt vererbt bekam, nicht benötigt und darum vermietet. Dabei gibt es wenig bis keine Kontrolle über den Mietspiegel – für ein Wohnklo mit Kochnische kann man in Moska?u locker 1000 € im Monat verlangen…

Zurück zu den Datingshows

Zu einer jungen, geldhungrigen Heiratskandidatin kam unter anderem ein recht wohlhabender, in Berlin lebender Russe. Und natürlich kam die Standardfrage nach der Eigentumswohnung.
Der junge Mann blinzelte erstaunt und meinte, er miete.
Ob er verstanden hat, dass sie ihn darum nicht ausgewählt hat?
Andererseits bin ich froh darüber – er wirkte nett und findet hoffentlich ein nettes Mädchen, das nicht nur auf seine Kohle scharf ist. Oder hat es schon gefunden, die Sendung ist schon Monate her…

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7 Gedanken zu “Russland – die Mietwohnungshatermeister

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