Schon Tag fünf der großartigen Challenge und ich bin wirklich täglich gespannter darauf, was Woche zwei bereithalten wird. Nach „Namensfindung“ ist „Wie machst du das mit den Perspektivträgern“ mein zweitliebstes Thema und ich bin ehrlich verwundert, dass ich es noch nicht auf diesem Blog thematisiert habe. Dafür aber mal indirekt in Form einer Übersicht auf dem Blog von „Authorwing„.
Mein Favorit, in dem ich nach wie vor am Liebsten schreibe, auch wenn ich die Form für die einfachste halte, ist dabei nach wie vor der personelle Erzähler, der es mir ermöglicht, beliebig viele POVs – oder Perspektiventräger – in meine Geschichten einzubauen.
Die große Preisfrage: Wie viele Perspektiven gibt es in meinen Geschichten?
Ich bin ehrlich – ich verstehe vollkommen, wenn Leser*innen sagen, dass sie sich von Büchern mit sehr vielen davon überfordert fühlen. Das Paradebeispiel ist ja gerade die im Blogpost genannte Romanreihe von George R. R. Martin – dort gibt es so viele Perspektivträger, dass der Autor es in Band 6 gar nicht geschafft hat, alle einzubauen, deren Geschichte reingehört, sodass man streng genommen Band 4 und Band 5 teilweise nebeneinander lesen müsste, um die Ereignisse in korrekter chronologischer Reihenfolge mitzubekommen. Einen Vorschlag für diese Lesereihenfolge findet ihr hier, sie gilt allerdings nur für die englische Ausgabe und die deutschen Ausgaben, bei denen die Bände nicht geteilt werden.
So schlimm ist es bei mir (zumindest noch) nicht, was vielleicht auch daran liegt, dass meine Romane vermutlich vom Aufbau her doch zumindest in einigen Fällen an Novellen erinnern: Es gibt ein singuläres Ereignis und behandelt wird ein Zeitraum zwischen wenigen Tagen und wenigen Wochen. (Wobei Ausnahmen die Regel bestätigen und ich mich ein wenig unwohl mit dem Aufbau dieser Ausnahmeromane fühle, da muss ich beim Überarbeiten irgendwie stärker ran.) Und außerdem ist – Stand heute – meine gesamte neunbändige Romanserie knapp so lang, wie bei Großmeister Martin ein einziges Buch :D.
Allein MV hat – ich nehme an, das darf ich verraten – sieben Perspektivträger*innen. Wenn ich nachzähle, wie viele unterschiedliche Erzählcharaktere ich in der Vampirreihe #Unparallel habe, komme ich vermutlich weit in den zweistelligen Bereich und #7Leben ist vom Aufbau her ein gutes Stück komplexer, da wird es dann… lustig.
Wie entscheide ich, ob jemand eine Perspektive bekommt?
Nach Bedarf.
Ich habe bei der Überarbeitung von #Unparallel 1 beispielsweise festgestellt, dass ich dringend noch eine Erzählperspektive benötige, damit ich eine Szene darstellen kann. Die ich in der Form aus keiner anderen Sicht hätte erzählen können.
Oder ich stelle fest, dass ich jemanden an einem ganz anderen Ort als Beobachter und Erzähler brauche, weil sonst die Auflösung nicht funktioniert. Oder ich stelle fest, dass ich aus sonstigen Gründen die gerade anwesende Person als Nächstes sprechen lassen muss. In diesem Fall zögere ich nicht, der Figur auch wirklich eine eigene Stimme zu geben.
Was tun gegen zu viele Perspektiventräger?
Es gibt, ganz pragmatisch, für mich diese Lösungen:
- umbringen
- anderweitig rausschreiben
- einfach nicht mehr verwenden
Eine Perspektiventrägerin in #Unparallel 1 ist eine Assistentin meiner Protagonistin. Sobald meine Protagonistin keine solche mehr braucht, gibt es keinen Grund dafür, weiter aus der Perspektive der Assistentin zu erzählen. Sie verschwindet sang- und klanglos wieder aus der Geschichte, weil sie nicht mehr mit anderen Perspektiventräger*innen interagiert und ihre Sicht nicht mehr benötigt wird.
Ich glaube nicht, dass allzuviele Leser*innen sie vermissen werden.
Leute werden auch mal rausgeschrieben, indem ich sie auf Reise schicke oder – gerade im Fall von #Unparallel – verheirate. Je nach der Gesellschaftsstruktur, in der die Geschichte stattfindet, zieht in der Regel der eine oder der andere Partner dann zu Hause aus. Das hat zwei Vorteile: Ich muss einerseits nicht überlegen, wie ich den POV einbeziehe (ist ja abwesend), kann ihn aber notfalls reaktivieren, falls ich einen Beobachter im neuen Haushalt des POVs brauche ;-).
Und ansonsten… wer mich ein bisschen kennt, weiß, dass ich recht gerne Charaktere um die Ecke bringe. Okay, gerne ist vielleicht ein falscher Ausdruck… Ähm… Aber bei mir darf großzügig gestorben werden. Und damit meine ich nicht die Vampire, deren Menschenform umgebracht werden muss, ehe sie als Kreatur der Nacht auferstehen. Sondern wirklich endgültige Tode.
Gerade bei Reihen wie #Unparallel hilft das aber auch schon mal, Perspektivträger am Ende eines Bandes vor dem Beginn des Nächsten wieder auszudünnen. Da ist dann alles dabei: Ganz banale Altersschwäche, Hinrichtungen (worunter auch einige „Selbstmorde“ fallen – meine Protagonistin legt einem der POV-Charaktere nahe, es selbst zu beenden, ehe sie dazu verpflichtet ist, sie verhaften zu lassen), tatsächliche Selbstmorde, Tod im Krieg, mehr oder weniger heimtückische Morde…
Nur die Wenigsten überleben bei mir das Ende einer Reihe.
Was ich allerdings nicht tue: „Oh, ich habe so viele Perspektivträger, die müssen im nächsten Band ja auch alle ran, lasse ich mal ein paar über die Klinge springen.“ Das finde ich doof. Wenn ein POV-Charakter stirbt, egal ob während der eigenen Perspektive oder nicht, dann hat das bei mir schon Sinn, Zweck und Verstand. (Jedenfalls hoffe ich das…)
Was sind die Vor- und Nachteile?
Einige nenne ich bereits im oben verlinkten Blogpost, aber da gibt es noch mehr.
Das Arbeiten mit der dritten Person und vielen Erzählperspektiven ermöglicht mir als Autorin, die sich selbst als hochpolitische Schreiberin sieht, sehr viel Freiraum. Gerade wenn ich meine (prä)historische Fantasy oder meine dystopischen Romane schreibe, ist hier die Herausforderung, mich selbst rauszunehmen.
Indem ich die POV-Charaktere so authentisch wie möglich als Kinder ihrer jeweiligen Zeit und als Produkte ihrer jeweiligen Erziehung zeige, kann ich besonders gut gesellschaftliche Missstände anprangern oder aufzeigen. Denn meine Charaktere sind in diesem Mindset mittendrin. Einige von ihnen sind – ähnlich wie Ron Weasley – ziemliche Rassisten. Andere sind sexistisch. Oder misshandeln ihre Ehepartner*innen. Und haben dabei die ganze Zeit das Gefühl, dass sie damit Recht haben.
Indem ich ohne moralischen Kommentar im Vordergrund die entsprechenden Leute sich selbst diskreditieren lasse, durch ihre Worte, ihr Verhalten und ihre Gedanken, kann ich viel stärker zeigen, wie falsch und gefährlich manche Mindsets sind. Weil Leser*innen das ganz unkommentiert sehen und ein mulmiges Gefühl entwickeln. Feststellen, dass es ihnen nicht gefällt, was da passiert, gesagt, gedacht und getan wird.
Und dieses Gefühl ist oft der Anfang, damit sich in den Köpfen was ändert.
Und was ist mit den ganzen anderen Erzählformen?
Irgendwann schreibe ich (wieder) was Längeres im auktorialen Modus, aber… ich mag den nicht sonderlich. Wenn er sich für ein Buch richtig anfühlt, dann gerne.
Das Selbe gilt für den reinen Ich-Erzähler. Der wirkt auf mich irgendwie sehr eingeschränkt. Was ich gerne tue, ist, einen Ich-Erzähler in einem Umfeld aus personellen Erzählern einzubetten, das klappt gut.
Aber nur ein Kopf zum Reingucken? Ich weiß nicht…
Wie ist es bei euch? Und gibt es Erzählformen, die ihr besonders gerne oder ungern verwendet? Oder die ihr sehr ungern lest?
Irgendwo habe ich noch ein Teil mit nur einer Perspektive rumfahren, aber das braucht dringend eine Überarbeitung. Bei Liebesgeschichten ist es fast schon zwingend, beide Seiten zu zeigen – mein Neben-der-Recherche-Schreibprojekt hat einen Ich-Erzähler, die andere Person kommt durch Chats und andere schriftliche Äußerungen zu Wort. Bin gespannt, wie/ob das hinterher aufgeht.
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Das klingt vom Konzept her auf alle Fälle sehr cool!
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