Als Briefwählerin habe ich dieses Jahr den Wahlkampf nur noch sehr distanziert verfolgt – es klingt merkwürdig, aber in gewissem Sinne fühlte ich mich seltsam losgelöst von dem ganzen Theater. Vielleicht, weil die ganze Rhetorik an mich ohnehin verschwendet ist – habe ja schon gewählt gehabt, als die heiße Phase losging. Und ich bin so weit politisch gefestigt, dass ich ohnehin bei so gut wie jeder Wahl die gleiche Partei wähle (weil mich deren Inhalte zu einem sehr großen Teil überzeugen). Darum habe ich nicht mehr wirklich mitverfolgt, wer was im Wahlkampf so von sich gegeben hat.
Vermutlich ein Fehler, denn dann hätte ich nicht so fassungslos dreingeschaut, als die ersten Hochrechungen gestern online gingen.

Großspurig habe ich auf Twitter noch mal immer und immer wieder verschiedene „Geht wählen!“-Botschaften geschrieben und geteilt. Zuletzt sogar mit einem Bild meiner neuen Schuhe und dem während des Gangs zur Briefwahl geschossenem Bergpanorama.
Mein Ziel? So viele Leute mobilisieren, dass eine gewisse Partei unter die 5% rutscht
Ha. Haha. Was haben wir gelacht…
Ich dachte, es geht wirklich darum, dass es keine 5-7% werden sondern allerhöchstens 4,9. Das wäre immer noch beängstigend genug für mich und hätte die Politiker*innen bestimmt genügend aufgerüttelt, aber es wäre nicht … das, was wir jetzt haben. Und ausgerechnet die Gegend, in der ich aufgewachsen bin, als jüdische Jugendliche wohlbemerkt, mit einem reichhaltigen Freizeitangebot und vielen tollen Erinnerungen, ausgerechnet die ist Hochburg der Rechten.
Irgendwie schwankt seitdem mein Gemütszustand zwischen stinkwütend, tieftraurig und einem schwer definierbaren „mir ist schlecht“. Und zwischen „Ich muss dringend etwas tun“ und dem Gefühl einer bleiernen Lähmung, die es mir schon schwer macht, mich überhaupt zu einem Statement aufzuraffen.
Das ist der Punkt, an dem es für mich dann doch immer umklappt. Weil das Problem unendlich komplex ist. Ich möchte „die“ nicht gewinnen lassen, „denen“ nicht so viel Macht über mich geben. Und ich sehe zu deutlich, dass es außerdem der falsche Weg ist, überhaupt von „denen“ zu schreiben. Damit tappen wir auch in die rhetorische Falle, zu differenzieren, statt Gemeinsamkeiten aufzubauen. Feindbilder und Grabenkämpfe, statt ein Miteinander zu suchen, das Extremismus den Nährboden von vornherein entzieht.
Und außerdem habe ich mich bisher noch immer aufgerafft
Es ist ja nicht so, als würde mich Politik das erste Mal aus der Bahn werfen. Erst im März dieses Jahres habe ich darüber gebloggt, was für mich Trumps Ernennung zum Präsidenten der Vereinigten Staaten bedeutet und dabei erzählt, wie ich überhaupt auf die Idee zu meiner ersten Dystopie gekommen bin.
Aber 2016 und 2008 waren nicht die einzigen Male. Erinnert ihr euch noch an November 2015?
Auf Lähmung …
… folgt bei mir früher oder später Aktivismus.
Und ich weiß jetzt schon, dass ich mich auch aus dieser Krise nur schreibend wieder befreien kann.
Was kann ich tun?
Ich habe es schon in meinem Blogpost zum dystopischen Schreiben geschrieben, ich sehe mich als politische Autorin und ich sehe es als meine Pflicht, durch mein Schreiben für die Werte zu kämpfen, die mir etwas bedeuten.
Toleranz.
Gleichberechtigung.
Demokratie.
Chancengleichheit.
Diversität.
Inklusion.
Für ein europaweites „wir“ statt für ein kleinliches „die da“ und „die anderen“.
Nicht nur Dystopien, auch wenn auf meiner Liste der zu schreibenden Bücher drei davon stehen (eine davon fange ich im Oktober an, bei den anderen zwei muss ich schauen, wann ich die umsetze), nein, es sind kleine Dinge.
In „Zarin Saltan“ verstecke ich ganz nebenbei die multikulturelle Herkunft von Viktor und lasse sie nur nebenbei anklingen. Und als Anna sich in einer Szene über das Verhalten einer Krankenschwester ihr gegenüber wundert, tut sie das nicht, weil diese Krankenschwester lesbisch ist. Und ich baue Kritik ein an einer Parallelgesellschaft, die sich gerne in ihrer Komfortzone einigelt und nicht mehr rausgeht.
Es gibt keine unpolitischen Romane
Ein Roman oder generell ein literarischer Text kann zwei Dinge tun – entweder die bestehende Ordnung explizit oder implizit kritisieren (beispielsweise, indem man die Geschichte einer emanzipierten Mutter wie Maira aus Tina Skupins „Supermamas“ aufschreibt) oder die bestehende Ordnung bestätigen (beispielsweise, indem man einen Roman schreibt, in dem die überholten Geschlechterrollen à la „Mann – großer Hengst und Frau – Heimchen am Herd“ positiv dargestellt werden und Figuren dafür belohnt werden, in ihnen zu verharren. Ein Beispiel dafür wäre die Twilight-Reihe).
Selbst wenn dies nicht bewusst geschieht: Eine dritte Möglichkeit gibt es nicht. Selbst wenn Autor*innen es nicht merken, treffen sie mit jedem Werk aufs Neue die Aussage, ob sich in ihren Augen etwas ändern muss oder alles gut so ist, wie es ist.
Wenn man sich das erst bewusst gemacht hat, wird das politische Schreiben zwischen den Zeilen auf einmal ganz leicht. Man schreibt einfach die Veränderung, die man in der Welt sehen will.
Das Nornennetz
Als ich gestern also völlig fassungslos und stumm vor dem PC saß, ohne Worte für das, was in dem Land abgeht, in dem ich zwanzig Jahre meines Lebens verbracht habe, wurden die Frauen im Netz aktiv.
Blogposts wurden angefangen, dieser Hashtag erstellt und aus einem Tief etwas gemacht, das wunderschön ist. Wir sind politisch und wir sind aktiv.
Das ist etwas, was ein Netzwerk für mich ausmacht – nicht nur das Vernetzen untereinander, sondern auch ein Auffangnetz, wenn jemand unter uns zu fallen droht. Ich bin jedenfalls dank der großartigen Frauen weich gelandet, hab mir die Ohnmacht von der Seele geschrieben und kann weitermachen. Mit mehr Entschlossenheit, als je zuvor.
Lasst uns politisch werden. Auf eine gute, bestärkende Weise.
Ich bin dabei. Ihr auch?
Andere Blogger*innen über #WirSchreibenDemokratie:
Der Tweet, mit dem offiziell alles angefangen hat:
- Eva-Maria Obermann, deren Meinung zum Thema „Politisches Schreiben“ sich mit der deckt, die ich schon im März geäußert habe. Außerdem hat sie eine Leseliste zusammengestellt.
- Nike Leonhard, die von nun an verstärkt politisch schreiben will
- Esther darüber, dass man uns in den Schulen scheinbar doch nicht genug Wissen über die NS-Zeit um die Ohren gehauen hat
- Claudia definiert die „Partei der Enttäuschten“
- Auch Babsi hat eine Leseliste erstellt.
- Carolas persönliches Statement zum bunten Schreiben.
- Mikaela lässt ihre Mutter in einem Video zu Wort kommen.
- Ein weiterer, persönlicher und sehr berührender Artikel von Nike Leonhard
- Nora schreibt, dass Angst, sich offen politisch zu äußern, etwas ist, das nicht angeboren ist
- Guddy erinnert daran, dass politische Diskurse schon immer Teil des Geektums gewesen sind.
- Luke da Silva über das Wahlrecht als Privileg und ihre persönlichen Gefühle angesichts des Wahlausgangs
- Jule schreibt über den Effekt von Filterblasen und Hoffnung.
War ich schon immer. Aber nie mit dem Holzhammer. Ich bin selbst erschrocken über das, was ich vor Jahren in den Fernen dystopischer Zukünfte verortet und geschrieben habe. Die Realität hat manches eingeholt, zum Glück noch nicht alles.
Es gibt keine Alternative zur Zukunft. Die einzige Wahl, die wir haben, ist, ob sie mit oder ohne Menschen stattfindet.
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Wobei du ein paar Jährchen länger auf der Welt bist als ich und entsprechend mehr gesehen und erlebt hast, auch wenn wir anscheinend fast zeitgleich angefangen haben, zu schreiben (ich begann die Rohfassung meiner ersten Dystopie am Tag der deutschen Einheit 2008, auch wenn ich schon seit 2004 gekritzelt habe, aber das war noch nicht zielgerichtet und nichts davon wurde jemals fertig).
Aber ja. Man denkt sich Worst Cases aus, in der Hoffnung, dass sie nie eintreten werden. Schreibt sie ins Buch und stellt irgendwann fest, dass die Realität das Worst Case alt aussehen lässt, das man sich einfallen lassen hat. Das ist ganz schön gruselig.
Und ja – es geht immer irgendwie weiter. Ob es uns gefällt und ob (und wie lange) wir das weiter überleben, ist dann einfach eine andere Sache. Ich hoffe, wir bleiben der Welt noch eine Weile erhalten, ohne sie dabei zu zerstören.
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